Ein Kern und darum herum ein einziger, offener Raum, der durch diesen Kern gegliedert wird: Diese Beschreibung würde auch auf Haus Farnsworth von Mies van der Rohe zutreffen. Während aber dort das gleichsam hineingestellte Element eine überwiegend dienende Funktion hat, ist in Fürstenaubruck der massive, in Holz gestrickte Kern in jeder Hinsicht zentral und tragend. Aus ihm heraus entwickelt sich das ganze Haus. Er besteht aus einer vielfach geknickten Wand oder genauer: aus zahlreichen Wandstücken, die jeweils im rechten Winkel ineinander verstrickt sind, wie es das Wesen dieser Bauweise verlangt und zu ihrer Stabilität notwendig ist. Die so gebildeten Nischen räumen verschiedene Bereiche und Funktionen ein: eine Küche, einen Wohnraum mit einem offenen Essplatz und einem fast höhlenartigen Rückzugsbereich, ein Entree mit Garderobe, eine Bibliothek mit Arbeitsplätzen, die über beide Geschosse führt, sowie zwei Schlafbereiche mit zugeordneten Bädern. Wo notwendig, lassen sich diese Bereiche mit Schiebetüren abtrennen, und gewisse Teile des massiven Holzkerns greifen bis an die Aussenwand aus, wo sie sich manchmal - beinahe - zu freistehenden Strickbau-Stützen auflösen.
Dieses plastisch geformte Rückgrat aus massivem Holz trägt die Decken - über dem Erdgeschoss ist sie aus Beton und enthält u. a. eine durch den Holzofen gespeiste Hypokaustenheizung und das Dach, während die Aussenwand als eine davon abgelöste, selbsttragende Ständerkonstruktion das Ganze umhüllt. Von aussen wird dies sichtbar, indem sich das symmetrische und im Grundriss rechteckige Dach von der Aussenwand emanzipiert, die kaum merklich so vom rechten Winkel abweicht, dass es zentrisch über der Zugangsseite, aber azentrisch über der Rückseite steht. Spürbar wird es auch über die Materialität. Von einem braun geschlämmten Kalkputz überzogen, der zusätzlich mit pigmentiertem Leinöl bestrichen wurde, gleicht die leicht glänzende Wand aussen einer spröden Schale oder der Rinde eines Baumes. Innen ist sie mit Stoff oder, im Wohnraum, mit einem weichen Lehmputz bekleidet, was die schwere Solidität der geschichteten Holzbalken des Kerns umso stärker wirken lässt.
Beim Haus in Fürstenaubruck hat Gion Caminada den Strickbau ganz von traditionellen Haustypologien losgelöst und ihm damit neue Perspektiven eröffnet. Er erweitert die konstruktiven Möglichkeiten des massiven Holzbaus insbesondere durch das Einführen der Betonplatte und schöpft diese bis an ihre Grenzen aus. So nutzt er die Plastizität und atmosphärische Kraft dieser Bauweise zur Bildung von reichhaltigen, dichten Räumen. Damit bleibt er seinen Themen treu, wie auch darin, dass er selbstverständlich auch dieses Haus mit seiner Platzierung, seiner Gestalt und seinem Charakter präzise auf den Ort bezieht (wovon hier aber für einmal nicht die Rede sein soll). Seine Erfahrung und die Klarheit der grundlegenden Entscheidungen erlauben es ihm dabei, sich im Einzelnen grosse Freiheiten herauszunehmen. Etwa dort, wo die Aussenwand plastisch verformt ist, gegen ihre «Natur» als Hülle zwar, dafür aber umso mehr zum Vorteil des Eingangs, wo auf diese Weise innen und aussen verklammert werden und sich überdies das zentrale Thema des Innenraumes schon vom Zugang her ankündigt. Solches trägt wesentlich zum Reichtum dieser Architektur bei, der alles Starre, allzu Perfekte fehlt und die gerade dadurch umso lebendiger und lebenstauglicher wirkt.
Quelle: Martin Tschanz für Werk, Bauen + Wohnen
Photos: Lucia Degonda